Der Schwarze Holunder (Sambucus nigra) ist in der traditionellen Pflanzenheilkunde als wirksame und bewährte Medizin unverzichtbar. Die aromatischen Blütenstände und der aus den reifen Beeren ausgekochte Saft sind zudem Teil traditioneller Speisen. Seit sich Hugo (Sekt mit Holunderblütensirup) als Kultgetränk etabliert hat, hat der Holunder als kulinarische Zutat selbst in die Popkultur Einzug gehalten. Kurzum: die Wege des Schwarzen Holunders und des Menschen kreuzen sich seit langer Zeit und sind auch heute noch miteinander verwoben.

Blätter und Früchte des Roten Holunders. Foto: Douglas Goldman, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons

Weitaus weniger bekannt ist jedoch der Rote Holunder (Sambucus racemosa), der kleine Bruder des Hollerbusches mit den leuchten roten Beeren. Grund hierfür ist zunächst einmal, dass der Rote Holunder im Gegensatz zu seinem dunklen Verwandten eher menschenscheu ist und abgelegene, schattige Waldplätze bevorzugt. Er ist kein Kulturbegleiter, der an Wegesrändern, Wiesen, Gärten und in Menschennähe gedeiht. Nein, den Roten Holunder, der auch als Hirsch-Holunder bezeichnet wird, findet nur, wer tief in die Wälder vordringt. Der Kulturanthropologe und Ethnobotaniker Dr. Wolf-Dieter Storl sagt über den Roten Holunder, dass er scheu wie die Hirsche selbst ist. Er ist zudem auch viel seltener als der große Bruder. Ein weiterer Grund, warum der Rote Holunder weder in der Heilkunde noch in der Küche verbreitet ist, ist der Irrglaube, dass seine Beeren stark giftig seien. Dies ist aber nicht ganz richtig, denn wer die Beeren richtig verarbeitet, kann aus ihnen leckere Nahrungs- und Heilmittel zubereiten. Lediglich im rohen Zustand haben die Beeren eine giftige Wirkung. Dies ist beim Schwarzen Holunder übrigens nicht viel anders.

Die Beeren des Roten Holunders enthalten im rohen Zustand Brechreiz und Durchfall auslösende Inhaltsstoffe. Aus diesem Grund wurden die Früchte früher auch als Brech- und Abführmittel verwendet. Beim Erhitzen werden diese Inhaltsstoffe jedoch zerstört, sodass ein eingekochter Saft der Beeren unbedenklich ist. In den Samen finden sich zudem schleimhautreizende Inhaltsstoffe. Diese sind hitzebeständig. Aus diesem Grund sollten die Samen vor der Verarbeitung der Beeren entfernt werden. So lassen sich die Früchte auch zu leckeren Fruchtgelees einkochen. Der Geschmack der roten Holunderbeeren ähnelt denen des Schwarzen Holunders. Die Blütenstände des Roten Holunders können übrigens auch zu leckerem Sirup verarbeitet werden.

Die jungen Blätter des Roten Holunders. Foto: Krzysztof Ziarnek, Kenraiz, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons

Die Früchte des Roten Holunders sind reich an Karotinoiden (Provitamin A), welche ihnen auch ihre rote Farbe verleihen. Zudem finden sich Vitamin C und ein fettes Öl, welches früher auch als Speiseöl Verwendung fand. Hierzu müssen jedoch zunächst durch Raffination die Schleimhaut reizenden Inhaltsstoffe entfernt werden.

Den Namen Hirsch-Holunder erhielt die Pflanze von Hieronymus Bock in seinem 1546 erschienenen Kräuterbuch, da er beobachtet hatte, wie Hirsche die Blätter des Strauches fressen.

In der Heilkunde kann der Rote Holunder genau wie der Schwarze Holunder angewendet werden. Die Blüten können als Tee aufgegossen oder als Sirup angesetzt werden. Sie haben, wie der ausgekochte Saft aus den Beeren, eine schweißtreibende, immunstärkende und keimtötende Wirkung.

In seiner Erscheinung ähnelt der Rote Holunder dem Schwarzen Holunder sehr. Blattform, Rinde und generelle Erscheinung sind nahezu identisch. Es gibt jedoch einige wichtige Unterscheidungsmerkmale. Zunächst ist der Rote Holunder deutlich kleiner. Dies gilt auch für seine Früchte. Der Rote Holunder erreicht in der Regel nur Wuchshöhen bis 1 Meter, selten bis 3 Meter. Darüber hinaus sind die Blätter von Sambucus racemosa zunächst rot bis bronzefarben und ergrünen erst später. Die rispigen Blütenstände wachsen eher kegelig-rundlich und nicht wie die des Schwarzen Holunders tellerförmig-flach. Die Fruchtstände stehen beim Roten Holunder aufrecht, beim Schwarzen Holunder hängen sie aufgrund des größeren Eigengewichtes nach unten. Außerdem finden sich beim Roten Holunder die Fruchtansätze bereits mit dem Blattaustrieb.

Text: Fabian Kalis