Die wilde unberührte Natur weckt in vielen Menschen eine Vorstellung von Freiheit, Entspannung und vor allem eines Ausgleichs zu unserer modernen, hektischen Welt und all den Problemen der menschlichen Kultur. Und in der Tat hilft uns der Kontakt zur Natur dabei uns an etwas Ursprüngliches und Großes anzubinden, unseren Stresslevel zu senken und uns auf uns selbst und ein Leben im Hier im Jetzt zu besinnen und dabei sämtliche Probleme des Alltags zumindest für einen Augenblick zu vergessen.

Doch die menschliche Kultur wäre nicht menschlich, wenn ihre negativen Auswüchse nicht auch in diese unbeschwerte Welt jenseits von Gut und Böse und jenseits von Ideologien, Wertvorstellungen und menschlichen Idealvorstellungen vordringen würde. Ein Phänomen, welches ganz besonders bei vermeintlichen Umweltschützern immer mehr mit erschrecken festzustellen ist, ist etwas, das ich gerne etwas provokant als Pflanzenrassismus bezeichne.

Mit Pflanzenrassismus meine ich die fragwürdigen Überzeugungen einiger Menschen, die sich als selbst deklarierte Naturschützer dem Ziel verpflichtet haben, alle fremdartigen Gewächse, alle ursprünglich nicht einheimischen Pflanzen, alle sogenannten Neophyten zu verteufeln, sie an ihrer Ausbreitung zu hindern und im Idealfall gänzlich auszurotten. Der Hass ist dabei in den meisten Fällen natürlich nicht persönlich gegen eine bestimmte Pflanzenart gerichtet. Natürlich mag man diese Pflanzen und sie haben ja auch ihre Daseinsberechtigung. Aber eben nicht hier in unserem Land. Sie sollen dort wachsen, wo sie herkommen.

Vertrocknete Blüten einer Kanadischen Goldrute (Solidago canadensis). Ein gefürchteter Neophyt, wichtige Heilpflanze und Nektarquelle für hungrige Insekten

In Einzelarbeit oder groß angelegten Gruppenaktionen werden die fremdartigen Gewächse in wilder Natur herausgerissen und bekämpft. Mit einer hasserfüllten Zerstörungswut werden sogenannte Säuberungsaktionen durchgeführt, bei denen nicht selten sogar das selbstgesetzte Ziel verfehlt wird. Allzu häufig ist es um die botanische Kenntnis der „Naturschützer“ nämlich nicht besonders gut bestellt, sodass nicht nur die gefürchteten Neophyten herausgerissen werden, sondern auch einheimische Pflanzen, die den Zuwanderern ähnlich sehen. Im schlimmsten Falle werden dabei sogar einheimische Arten vernichtet, die aufgrund ihrer Gefährdung bereits unter einem besonderen gesetzlichen Schutz standen. Schon mehr als einmal sorgten eben solche Aktionen, für Schlagzeilen in den Medien.

Das indische Springkraut (Impatiens glandulifera): invasiver Schädling oder wichtige Bienenweide?

Ich weiß nicht wie es anderen geht, aber zumindest bei mir läuten bei solchen Ideologien, Vorstellungen und Vorgehen die Alarmglocken. Die ideologischen Parallelen zu den dunklen Abgründen zwischenmenschlicher Grausamkeit in Vergangenheit und Gegenwart sind nicht von der Hand zu weisen und absolut erschreckend. Dort wo die Welt mit einem derart hasserfüllten Weltbild wahrgenommen wird, bei dem allein die Herkunft eines Wesens über sein Recht zu Leben entscheidet und wo mit politischen Hetzkampagnen großangelegte Säuberungsaktionen propagiert und angeregt werden, da ist es nicht weit, dass dieses Gedankengut sich von Pflanzen auch auf Menschen ausbreitet. Und wohin das führt, das hat uns die Geschichte schon mehr als einmal in all ihrer Grausamkeit gelehrt. Das ist eine Entwicklung, der wir mit aller Macht entgegenwirken sollten.

Auch das Kleine Springkraut (Impatiens pariflora) sehen viele lieber in seiner asiatischen Heimat. Doch Bienen lieben die Blüten, Kinder die explodierenden Samenkapseln und die Blätter sind lieblich und zart im Geschmack…

Genau aus diesem Grund widme ich den Neophyten bei meinen Kräuterwanderungen und Exkursionen immer eine ganz besondere Aufmerksamkeit und Erklärung. Ich versuche aufzuzeigen, welche wunderbaren Eigenschaften ihnen innewohnen, welche Lücken sie in den Ökosystemen füllen, in denen sie sich ausbreiten, welchen Mehrwert sie nicht nur uns Menschen bringen und warum ihr Erscheinen in moderner Zeit aus erdgeschichtlicher Sicht etwas ganz normales ist. Dabei bringt jede einzelne Pflanzenart natürlich ihre ganz eigenen Besonderheiten mit sich und ihre Geschichten von Immigration in ferne Ökosysteme sind oftmals spannend. Und wenn wir anfangen uns die richtigen Fragen zustellen, dann rüttelt es ganz von allein an festgefahrenen Vorstellungen und negativen Ideen zum Thema Neophyten. Warum zum Beispiel sind unsere urdeutschen Kastanienbäume, die in keinem Biergarten fehlen dürfen, eigentlich keine bösen Neophyten, obwohl Sie hier im frühen Mittelalter noch gänzlich unbekannt waren und erst durch arabische und persische Reiter eingeschleppt wurden? Mit solchen und anderen erhellenden Fragestellungen kann man dem Pflanzenrassismus nach und nach die fehlende Rationalität enthüllen und so manchen Geist zum Umdenken bewegen. Sobald man beginnt die Dinge in größeren Maßstäben zu betrachten, wenn man längere Zeiträume berücksichtigt und Probleme ganzheitlich analysiert, dann kommt man nämlich unweigerlich zu dem Ergebnis, dass die Neophyten gar nicht die Ursache sind für die vermeintlichen Schäden und Gefahren, die man ihnen so oft anhängt. So konnte ich tatsächlich schon den ein oder anderen, der mit Beginn der Kräuterwanderung eine negative Haltung zu den Neophyten hatte, soweit aufklären, dass am Ende der Wanderung auch die zugewanderten Pflanzen in einem positiven und willkommenen Licht gesehen wurden.

Und das gibt mir dann doch wieder ein wenig mehr Hoffnung auch für das menschliche Zusammensein, denn wenn so eine Veränderung der Weltanschauung hin zum Positiven in Hinblick auf Pflanzen möglich ist, dann ist es das auch für menschliche Belange. In diesem Sinn möchte ich dazu einladen, die Natur mal einfach wahrzunehmen wie sie ist und dabei den eigenen Filter von Bewertung und Aufspaltung in Gut und Böse auszuschalten. In der Natur gibt es keine Moralvorstellungen, kein Gut, kein Böse. Die Natur ist. Punkt. Und das kann eine sehr heilsame Erkenntnis sein. Heilsam für uns selbst und heilsam für die Menschheit als Ganzes.

Text: Fabian Kalis

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