An Wegesrändern, im Wald, an Straßenrändern, auf dem Bürgersteig, auf Wiesen und als unliebsames Unkraut im Rasen, Naturgebiet oder inmitten der Betonwüsten der modernen Zivilisation: der Spitzwegerich ist eine sehr verbreitete Pflanze und fast überall zu finden. Die kleine zarte Pflanze mit den unscheinbaren grau weißen Blütenständen mag zwar auf den ersten Blick einen sehr zerbrechlichen Eindruck machen, sie steckt aber voller Widerstands- und Heilkräfte.

Blüten des Spitzwegerich

Der Spitzwegerich (Plantago lanceolata) bevorzugt ein Habitat, welches für viele andere Pflanzen uneroberbar bleibt. Die Wegeriche wachsen überall dort, wo Mensch, Tier oder geologische Begebenheiten den Boden stark verdichtet haben. Wildpfade, platt getretene Wege, und durch das Gewicht der modernen Zivilisation, mit all ihren schweren Geräten und Bauwerken, stark verdichteter Boden bilden den perfekten Lebensraum für den König des Weges. Das bedeutet nämlich der Name Wegerich eigentlich. Er setzt sich zusammen aus den Wörtern Weg und dem althochdeutschen Wort rīh, was König bedeutet. Diese althochdeutsche Bedeutung sowie unser modernes Wort reich oder das englische Äquivalent rich, gehen alle auf den gleichen Wortursprung zurück und beziehen sich auf Fülle, Reichtum, Häufigkeit. Genauso ist es der Wegerich, der häufig an Wegen wächst. Daher der Name Wegerich.

Und auf diesen besonderen Lebensraum auf verdichteten, viel frequentierten Wegen, wo Mensch, Tier und Maschine hinüber wandeln, hat sich der Wegerich auch in seiner Vermehrung spezialisiert. Die kleinen hellbraunen Samen sind so angelegt, dass sie sich beim Drauftreten an den Fußsohlen, Hufen oder Pfoten von Tier und Mensch verkleben und so verbreitet werden. Der Wegerich ist also nicht nur in der Lage ein auf ihm Herumtrampeln zu überstehen, er braucht es sogar. Die Bestäubung erfolgt überwiegend durch den Wind. Nur gelegentlich wird der Wegerich auch von bestäubenden Insekten besucht. Neben der generativen Vermehrung über Samen, verbreitet sich der Wegerich zudem vegetativ über unterirdische Wurzeslsprosse.

Der Spitzwegerich (Plantago lanceolata)
Bild aus Flora londinensis, 1777

Doch was macht den Wegerich so besonders? Warum meiden viele andere Pflanzen verdichteten Boden? Die Antwort ist einfach: Wasser. In stark verdichtetem Boden haben die Wurzeln der Pflanzen keine Chance genügend Wasser aufzunehmen. Auch kann verdichteter Boden deutlich weniger Wasser aufnehmen und speichern. Verdichteter Boden bietet also kaum etwas des flüssigen Lebenselexiers, das alle Pflanzen benötigen. Dies ist auch beim Wegerich nicht anders. Auch seine Wurzeln finden in den dichten Erdschichten kein Wasser. Was ist also sein Gehemnis? Die kleine zarte Pflanze, die kaum 15 cm hoch wird, kann enorme Wurzeln bilden, die bis zu 4 Meter tief in die Erde reichen. Wenn man sich vorstellt, dass riesige Bäume, wie etwa die Fichten als Flachwurzler gerade mal 1 Meter tief in der Erde verwurzelt sind, wirkt der Wegerich umso beeindruckender. Die Wurzeln des Wegerichs reichen in so tiefe Erdschichten hinunter, dass sie die obere stark verdichtete Erdschicht durchdringen und in tiefergelegene Bereiche vordringen, wo der Boden wieder lockerer wird und somit genügend Wasser aufgenommen werden kann.

Die schmal zulaufenden lanzettlichen Blätter des Spitzwegerich sind ein beliebtes Wildgemüse. Sie können unverarbeitet als Wildsalat gegessen werden und haben einen leicht bitteren, an Champignons erinnernden Geschmack. Kleingeschnitten können die Blätter ähnlich wie Spinat oder Mangold zubereitet werden. Da der Spitzwegerich das ganze Jahr über immer neue Blätter bildet, können zu jeder Jahreszeit frische Blätter geerntet werden. Die jungen Blätter sind dabei weniger bitter. Seine Häufigkeit und gute Verfügbarkeit der frischen Blätter das ganze Jahr über machen den Spitzwegerich zu einem der bliebtesten Wildkräuter für die wilde grüne Küche.

Doch nicht nur zu Speisezwecken kann der Wegerich genutzt werden. In ihm stecken auch starke Heilkräfte. Die bekannteste Wirkung ist die Hustenreiz linderndene und entzündunghemmnde Wirkung der Blätter. Als Spitzwegerichsirup ist diese Medizin als Fertigpräparat in Apotheken, Drogerien und Supermärkten zu finden und wird gerne als milde Medizin bei Kindern eingesetzt. Beachten sollte man hierbei jedoch: Husten ist nicht gleich Husten. Der Spitzwegerich hilft bei trockenem Husten, Reizhusten und Entzündungen der Atemwege. Ist hingegen festsitzender Schleim die Ursache des Hustens sollte man auf eine schleimlösende andere Medizin zurückgreifen. In diesem Fall kann der Spitzwegewrich sogar kontraindiziert sein, da er den zum Abhusten wichtigen Hustenreiz unterdrückt.

Häufig findet man den Spitzwegerich auch in Hustenteemischungen. Das macht aber leider wenig Sinn und ist pharmakologisch wirkungslos. Der für die entzündungshemmnde und Hustenreiz lindernde Wirkung verantwortliche Wirkstoff ist Aucubin. Dieser Stoff ist sehr empfindlich. Hitze, der Kontakt mit Sauerstoff, das Trocknen der Pflanze oder lange Lagerzeiten zerstören diesen Inhaltstoff und machen die Pflanze wirkungslos. Es macht daher keinen Sinn getrocknetes Spitzwegerichkraut mit heißem Wasser aufzugießen und dann eine Wirkung zu erwarten. Neben Aucubin und anderen Iridoidglycosiden (Catalpol und Asperulosid) enthält Spitzwegerich geringe Mengen an Gerbstoffen,Schleimstoffen und Saponinen.

Der unscheinbare Blütenstand vom Spitzwegerich

Wie kann man den Wegerich also sinnvoll innerlich nutzen? Der Sirup aus dem Handel macht es uns vor: Am besten stellt man einen Sirup her. Das geht ganz einfach und benötigt keinerlei Erhitzen. Auch ein alkoholischer Extrakt, bei dem die frischen Blätter in hochprozentigen Alkohol eingelegt werden, ist möglich. Für die Herstellung eines Sirups benötigt man ein großes Glas, in das man abwechselnd je eine ca. 1 cm dicke Schicht aus kleingeschnittenen frischen Spitzwegerichblättern und Zucker gibt, bis das Gefäß voll ist. Diesen Ansatz lässt man nun mehrere Wochen ziehen. Der Zucker zieht die Feuchtigkeit aus dem frischen Pflanzenmaterial und mit ihr die enthaltenden Wirkstoffe. Die Feuchtigkeit löst dann den Zucker. So entsteht ein dickflüssiger, intensiver Sirup, der aufgrund seines hohen Zuckergehaltes auch komplett ohne Erhitzen oder Kühlung haltbar ist. Den Ansatz sodann durch ein Sieb abgießen und fertig ist der heilsame Spitzwegerichsirup. Wichtig zu wissen: für die Heilwirkung bevorzugt man die älteren Blätter des Spitzwegerich. Sie enthalten mehr wirksames Aucubin als die jungen Blätter. Dieser Wirkstoff ist es auch, der den Blättern den bitteren Geschmack verleihen. Je bitterer das Kraut schmeckt, umso mehr Wirkstoff ist auch enthalten.

Neben dem Aucubin haben auch die Schleimstoffe eine Wirkung auf die Atemwege. Sie legen sich bei der Einnahme als schützende Schicht auf die Schleimhäute und unterstützen so die Behandlung von entzündlichen Erkrankungen der Atemwege. Schleimstoffe und Saponine besitzen zudem generell eine schleimlösende Wirkung. Im Spitzwegerich kommen sie aber nur in geringen Mengen vor und die hustenreizlindernde Wirkung des Aucubin überwiegt, so dass durch den Spitzwegerich nicht das Abhusten von festsitzendem Schleim gefördert werden kann. Hierfür gibt es andere wirksamere Pflanzenmedizin wie etwa den Efeu.

In vielen modernen Kräuterbüchern und Blogs liest man zudem von einer antibiotischen Wirkung des Spitzwegerichs und somit einer Anwendung bei bakteriellen Infektionen. Die antibiotische Wirkung ist zwar technisch korrekt, praktisch aber wieder genau so ein Blödsinn wie der Spitzwegerichtee. Leider werden in modernen Publikationen über Heilkräuter viel zu häufig einfach nur Dinge nachgeplappert, ohne dass sie vom Urheber selbst verstanden werden. Da schnappt man irgendwo auf, dass Aucubin antibiotisch wirkt und irgendwo anders, dass Spitzwegerich Aucubin enthält und schon hat man den „Beweis“ das Spitzwegerich bei bakteriellen Infektionen hilft. Leider wurde versäumt, den Wirkstoff chemisch und pharmakologisch zu verstehen. Aucubin hat pharmakologisch zwar in der Tat eine antibiotische Wirkung, die sogar eine vielversprechende Lösung für die immer häufiger vorkommenden Antibiotika resistenten Keime sein könnte (Dies wurde in Studien nachgewiesen, in der der Reinstoff direkt in die Blutbahn injiziert wurde). Leider können wir diese Wirkung jedoch nicht durch Einnahme von Spitzwegerich innerlich nutzen, da das empfindliche Aucubin in unserem Verdauungstrakt zerstört wird, bevor es vom Körper aufgenommen werden kann. Spitzwegerich entfaltet seine entzündungshemmende und Hustenreiz lindernde Wirkung nur im Bereich von Mund, Hals und der oberen Atemwege. Dort wo die Medizin direkt hinkommt. Die Wirkstoffe werden nicht vom Blut aufgenommen und können somit nicht im Körper verteilt werden.

Anders sieht es aber bei der äußerlichen Anwendung von Spitzwegerich aus: Hierbei kann das Aucubin in den frischen Blättern seine volle Wirkung verbreiten. Die entzündungshemmende Wirkung der Spitzwegerichblätter nutzt man gerne als Notfallmedizin bei Insektenstichen. Hierzu zerkaut man ein paar frische Blätter. Durch das zerkleinern im Mund und das Anreichern mit Speichel werden die Wirkstoffe besonders gut herausgelöst. Den fertigen Pflanzenbrei schmiert man nun auf die Einstichstelle. Egal ob Mücke, Biene oder Wespe: der Spitzwegerich lindert den Schmerz, vermindert Schwellungen und hilft gegen den Juckreiz. Die beste Wirkung zeigt sich, wenn der Wegerich direkt nach dem Stich appliziert wird, bevor eine Schwellung und Rötung auftritt. Doch auch bei älteren Stichen kann der Wegerich eine Linderung verschaffen und die Heilung beschleunigen. Auch entzündliche Hautleiden wie etwa Neurodermitis können mit frischem Spitzwegerich behandelt werden.

Des Weiteren besitzt frischer Spitzwegerich eine stark Blutstillende Wirkung, wenn er äußerlich angewendet wird. Hierzu zerkaut man wieder etwas frisches Pflanzenmaterial und schmiert den Brei auf die blutende Wunde. Die Wirkstoffe im Wegerich vermögen selbst größere Blutungen innerhalb kürzester Zeit zu stoppen. Damit ist der Spitzwegerich eine wunderbare Erste-Hilfe bei kleineren Unfällen in der Natur.

Text: Fabian Kalis

Bildnachweis: 膀胱眼球胎, CC BY-SA 3.0 <http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/>, via Wikimedia Commons

Curtis et al. 1777, Flora Londinensis

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