Der Faulbaum (Rhamnus frangula) ist eine Pflanzenart innerhalb der Familie der Kreuzdorngewächse, welche in Strauchform häufig in unseren heimischen Wäldern zu finden ist.

Der Name Faulbaum geht dabei auf den Fäulnisgeruch der Rinde zurück, der besonders intensiv wahrzunehmen ist, wenn man die Rinde mit dem Fingernagel abschabt. Der typische unangenehme Duft der Faulbaumrinde wurde früher genutzt, um Motten von den Kleidern fernzuhalten. Hierzu legten die Menschen frische abgeschälte Rindenstücke inzwischen die Kleidungsstücke. Dies war zwar ein wirksames Mittel, um die Klamotten vor Mottenverbiss zu schützen, allerdings nahmen die Kleider auch den fauligen Geruch der Rinde auf.

Dieser Fäulnisgeruch ist auch ein wichtiges Bestimmungsmerkmal des Faulbaumes. Aufgrund seiner Erscheinung kann der Faulbaum leicht mit der Traubenkirsche verwechselt werden, die dem Faulbaum ähnliche Blattform, Blüten und Früchte hat. Die abgeschabte Rinde der Traubenkirsche duftet zwar auch intensiv, ihr Aroma erinnert aber mehr an Marzipan. Der Faulbaum hingegen wartet mit seinem unverwechselbaren Fäulnisgeruch auf. Eine weitere Möglichkeit der Unterscheidung ist der Blattrand: Beim Faulbaum sind die Blattränder glatt, die Traubenkirsche hat einen leicht gezahnten Blattrand.

Die Rinde des Faulbaums wird auch in der Pflanzenheilkunde angewandt. Als Frangulae cortex wird die Rinde pharmazeutisch als Abführmittel genutzt. Die Hauptanwendung der Rinde ist daher bei kurzzeitigen Verstopfungen.  Verantwortlich für die pharmakologische Wirkung sind Glucofranguline. Daneben enthält Faulbaumrinde Frangulaemodinglykoside, Gerbstoffe und Peptidalkaloide. Da die Wirkstoffe in der frischen Rinde chemisch gebunden sind und erst durch chemische Zersetzungsprozesse freigesetzt werden, muss die Pflanzendroge entweder in der Sonne getrocknet und anschließend 1 Jahr gelagert oder aber künstlich durch Erhitzen auf 80 °C – 100 °C gealtert werden, um eine wirksame Medizin zu erhalten.

Der Faulbaum ist auch unter den Namen Pulverholz oder Schießbeere bekannt. Diese Namen gehen auf die Verwendung des Holzes zur Schießpulverherstellung zurück. Die aus Faulbaumholz hergestellte Holzkohle hat einen äußerst geringen Aschegehalt, was sie früher zu einem besonders geeignetem Rohstoff bei der Herstellung von Schwarzpulver gemacht hat. Es ist aber auch möglich, dass der Name Schießbeere nicht auf das Wort Schießen zurück geht, sondern als Schietbeere oder Scheißbeere ursprünglich die abführende Wirkung der Rinde beschrieben hat.

Darstellung des Faulbaums aus Franz Eugen Köhler, Köhler’s Medizinal-Pflanzen

Der Faulbaum hat zwittrige grünlich-weißliche Blüten, die von Hummeln, Bienen, Schlupfwespen und verschiedenen Käfern bestäubt werden. Nach der Bestäubung bilden sich kleine bis 8 mm große Steinfrüchte, die zunächst grün später im Reifeprozess rot werden und bei vollständiger Reife schwarz sind. Die Blütezeit beginnt im Mai und reicht bis in den September. Der Baum bildet dabei immer wieder neue Blüten. So finden sich an einem Baum oftmals Blüten und Früchte in verschiedenen Reifezuständen gleichzeitig. Die ersten reifen Früchte finden sich ab August an den Bäumen, verbleiben aber bis in den Dezember am Baum, bevor sie herabfallen. Die Früchte werden gerne von verschiedenen Vogelarten gefressen, die so für die Verbreitung der Samen sorgen.

In der Literatur werden sämtliche Teile des Faulbaums als leicht giftig eingestuft. Die Giftwirkung gleicht dabei aber der pharmazeutisch genutzten Wirkung des Baumes. Der Konsum von Blättern, Rinde, Blüten oder der unreifen oder reifen Früchte kann zu Übelkeit und Erbrechen sowie zu starkem Durchfall führen. Da für diese Wirkung aber große Mengen an Pflanzenmaterial aufgenommen müssen, sind Vergiftungen selten.

Text: Fabian Kalis

Bildnachweis: Franz Eugen Köhler, Köhler’s Medizinal-Pflanzen, 1897, gemeinfrei

Vor kurzem erschien die Ausgabe Nummer 12 des Magazins Lucys Rausch. Lucys Rausch ist ein Magazin für psychoaktive Kultur aus dem Nachtschatten Verlag. In dieser Ausgabe findet sich auch ein Artikel von mir über psychoaktiven Honig.

Mein Artikel Honigsüßer Rauschgenuss befindet sich auf S. 36 – 40 und gibt einen kurzen Einblick in die Thematik rund um psychotrope Honigsorten und deren Stellung in Geschichte, Kultur und Moderne.

Ausgabe Nummer 12 direkt in meinem Onlineshop kaufen:

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Neben meinem eigenen Artikel finden sich in dieser Ausgabe natürlich auch viele weitere interessante Artikel. Mit dem Schwerpunktthema Hanf in dieser Ausgabe beleuchten verschiedene Autoren die unterschiedlichen Aspekte rund um die Cannabiskultur: Hanf als Heilmittel, Entheogen und Rauschdroge.

Lucys Rausch ist ein modernes Gesellschaftsmagazin und beleuchtet die interdisziplinäre Thematik rund um sämtliche psychoaktiven Drogen aus verschiedensten Blickwinkeln – in Form von Reportagen, Interviews, Berichten, Features und Bildern. Neue Entwicklungen, Kunst, Musik und Literatur gehören ebenso zum Spektrum, wie Drogenpolitik und Konsumgewohnheiten von damals bis heute.

Lucys Rausch bringt Hintergrundwissen zu Ethnobotanik, Wissenschaft und Kultur rund um psychoaktive Substanzen, die in sämtlichen gesellschaftlichen Schichten und allen Altersklassen Thema sind.

Lucys Rausch informiert über Herkunft, Anwendung und Geschichte einzelner Substanzen – von der sakralen Ritualpflanze bis hin zum alltäglichen Gebrauch geistbewegender Moleküle – und berichtet auch über nicht pharmakologisch induzierte Bewusstseinsveränderungen.

Psychoaktive Substanzen sind längst kein Nischenthema mehr. Sowohl die Heilwirkungen psychotroper Substanzen als auch ihr hedonistischer Gebrauch werden mehr und mehr gesellschaftsfähig. Der Schweizer Nachtschatten Verlag gibt dieser Bewegung mit dem Magazin Lucys Rausch eine seriöse und ansprechende Plattform. In jeder Ausgabe berichten hochkarätige Autoren fachlich kompetent über wichtige und aktuelle Themen und die Thematik rund um psychoaktive Kultur wird in einer ansprechenden Form einer breiten Masse an interessierten Lesern zugänglich gemacht. Lucys Rausch ist ein Statement an die Gesellschaft, dass die psychoaktive Forschung und Kultur sich nicht mehr im Untergrund verstecken muss.

Doch ein neues Printmagazin zu etablieren, in einer Zeit in der selbst langjährige, gestandene Printmedien aufgrund abnehmender Leserzahlen vor dem baldigen Untergang stehen, ist keine leichte Aufgabe. Schon gar nicht, wenn man es einem so kontroversen Thema widmet. Auch wenn die Thematik mehr und mehr im Munde der Gesellschaft ist und auch in seriösen Kreisen langsam ernst genommen wird, so ist die Leserschaft dennoch nur ein eher begrenztes Klientel. Psychoaktive Kultur ist zwar zunehmend gesellschaftsfähig aber leider noch längst kein alltägliches Gesellschaftsthema. Umso wichtiger ist es, hier ein handfestes und seriöses Medium zu bieten, welches nicht nur die moderne und schnelllebige Internetkultur anspricht. Und das Magazin aus dem Schweizer Nachtschatten Verlag schafft genau das: Es bietet sowohl Autoren als auch Lesern eine Plattform für detaillierte und umfangreiche Artikel, eingebettet in ein optisch und inhaltlich abgerundetes Gesamtkonzept. Lucys Rausch ist kein Magazin zum schnellen Durchblättern, sondern lädt ein zum Verweilen und vertieften Lesen.

Damit das Magazin langfristig existieren kann, ist es wichtig, dass genügend Abonnenten den Verlag mit einer verlässlichen Finanzierung unterstützen. Denn nur, wenn die Finanzierung langfristig sichergestellt ist, kann so ein Magazin weiterhin in gewohnt hochwertiger Qualität produziert werden. Und in Sachen Qualität bekommt man bei der Lucys Rausch wirklich etwas geboten: nicht nur inhaltlich begeistern kompetente Autoren mit lesenswerten und umfangreichen Artikeln, auch die Gestaltung und Aufmachung ist stets ansprechend, passend und auf höchstem Niveau. Mit über 100 Seiten an ausgesuchten Inhalten, bietet jede Ausgabe ein Sammelsurium an spannenden Themen. Auch haptisch unterscheidet sich die Lucys von anderen Szenemagazinen: Ein robuster Pappeinband, dickes Papier und eine hochwertige Produktion schaffen ein Endprodukt, dass mehr an ein Taschenbuch erinnert, als an eine Zeitschrift.

Ich freue mich sehr darüber, dass ich mich meinem Artikel in der aktuellen Ausgabe einen Teil zu diesem wichtigen Projekt beitragen durfte und hoffe natürlich, dass das Magazin langfristig seinen Platz in der Welt der Printmedien behalten kann.

Mehr Informationen zum Magazin, Abo und weiteren Ausgaben gibt es unter:

www.lucys-magazin.com

Seit vielen Jahren bin ich ein regelmäßiger Besucher in den Wäldern der Palinger Heide. Nicht nur bei den unzähligen Kräuterwanderungen, die ich dort geleitet habe, sondern auch bei zahlreichen privaten Ausflügen und Spaziergängen habe ich dieses Naturgebiet mittlerweile sehr umfassend kennengelernt. Vieles ist über die Jahre gleich geblieben. Mit großer Sicherheit kann ich das Erscheinen bestimmter Pflanzenarten im Jahreslauf vorhersagen und sichergehen, dass bestimmte Heilpflanzen an manchen Stellen jedes Jahr aufs Neue auftauchen.

Manches verändert sich aber auch. Einige Pflanzen wurden im Laufe der Jahre weniger, andere mehr. Etwas, was ich besonders in diesem Jahr feststellen konnte, ist ein stark vermehrtes Auftreten von zwei speziellen Heilpflanzen.

Blüten des Gamander-Ehrenpreis

Die erste Pflanze ist der Ehrenpreis (Veronica spp.). Der Ehrenpreis war zwar keine unbekannte aber dennoch zumindest bisher eine seltene Erscheinung in den hiesigen Wäldern. In diesem Jahr jedoch kann man seine kleinen blau-lilafarbenen, zarten Blüten an zahlreichen Plätzen entdecken.

Der Wald-Ehrenpreis (Veronica officinalis)

Die Ehrenpreise sind eine sehr artenreiche Pflanzengattung, die etwa 450 verschiedene Arten enthält. Viele der Arten werden in der Heilkunde verwendet. Botanisch gehören sie zur Familie der Wegerichgewächse. Bei den meisten Arten handelt es sich um kleine, krautige Pflanzen mit vierzähligen weißen bis blauen oder lilafarbenen Blüten.

Die in der Heilkunde angewandten Arten enthalten als Hauptwirkstoffe Aucubin (dieser Wirkstoffe verleiht auch dem ebenfalls zur Familie der Wegerichgewächse gehörende Spitzwegerich seine Heilwirkung) Iridroidglykoside, Flavonoide, Saponine und Gerbstoffe.

Der Name Ehrenpreis geht laut einem Kräuterbuch aus dem Jahre 1500 auf die Lobpreisung eines Französischen Königs zurück, der mit einem aus Ehrenpreis gewonnen Saft von einer chronischen Hautkrankheit geheilt wurde. Weitere volkstümliche Namen lauten Wundheilkraut, Grundheilkraut, Allerweltsheil und Gewitterblümchen.

Der Gamander-Ehrenpreis (Veronica chamaedrys)

Viele der Namen deuten dabei auf die Heilwirkung der Pflanze hin. Der Name Gewitterblümchen geht dabei auf einen alten Volksglauben zurück, nach dem das Abpflücken dieser Pflanzen Regen oder Gewitter hervorrufen soll.

Die am häufigsten zu Heilzwecken genutzetn Arten sind der Gamander-Ehrenrpeis (Veronica chameadrys) und der Wald-Ehrenpreis (Veronica officinalis). Die Pflanzen werden hauptsächlich innerlich als Tee angewendet. Dabei sollen sie entzündungshemmend auf die Atemwege und auswurffördend wirken. Daher nutzt man den Ehrenrpreis gerne bei entzündlichen Erkankungen der Atemwege (Bronchitis) oder zum Lösen festsitzenden Schleims in der Lunge. Verantwortlich für die entzündungshemmende Wirkung sind dabei das Aucubin sowie die Gerbstoffe. Die Saponine hingegen erklären die schleimlösende Wirkung der Pflanze.

Auch eine äußerliche Anwendung der Pflanze ist bekannt. Extrakte aus der Pflanze werden bei entzündlichen Hautleiden (wie etwa Neurodermitis oder Schuppenflechte) genutzt. Sie sollen dabei entzündungshemmend und Juckreiz lindernd wirken. Auch hier sind wieder das entzündungshemmende Aucubin sowie die Gerbstoffe als Wirkstoffe zu nennen. Auch eine wundheilende Wirkung wird dem Kraut zugeschrieben. Hierzu wurden Umschläge aus dem zerhackten, frischen Kraut auf die Wunden gelegt.

Eine dritte Anwendung ist das Gurgeln des Tees aus der Pflanze. Die soll gegen Beschwerden wie Entzündungen, Schwellungen und Schmerzen im Mund und Halsbereich helfen.

Die zweite Pflanze, die ich in diesem Waldgebiet in diesem Jahr sogar erstmalig erblicke, ist die Kleine Braunelle (Prunella vulgaris). Bisher war mir die Pflanze nur aus Kräuterbüchern und botanischen Gärten bekannt. In freier Natur hatte ich sie noch nicht gesehen. Doch das änderte sich mit diesem Jahr. Wie von Zauberhand erscheinen an allerlei Orten nun die typischen Blütenstände des heilkräftigen Gewächses.

Blütenstand der Braunelle (Prunelle vulgaris)

Die Kleine Braunelle gehört zur Gattung der Braunellen (Prunella) innerhalb der Familie der Lippenblütler. Sie ist eine immergrüne, ausdauernde, krautige Pflanze. Die Pflanze wird 5 cm bis 30 cm hoch und hat einen beharrten Stängel an dem eliptisch bis eiförmige Blätter gegenständig angeordnet sind. Der Blattrand ist leicht gekerbt. Die Pflanze blüht von Juni bis Oktober. Der dicht gedrängte Blütenstand beinhaltet viele blaulila-farbene Einzelblüten. Selten finden sich auch Exemplare mit weißlichen Blüten.

Botanische Zeichnung der Braunelle

Der Name Braunelle erklärt sich aus der Anwendung als Medizin zur Behandlung von Diphterie im Mittelalter. Diese Krankheit wurde früher auch Bräune-Krankheit genannt, da sie faulige, weißliche bis gelblich-bräunliche Verfärbungen im Rachen hervorruft. Aber auch zur allgemeinen Stärkung des Immunsystems und zur Behandlung anderer bakterieller und viraler Infektionen wurde die Braunelle angewendet. Als wirksame Inhaltsstoffe enthält die Braunelle Prunellin (ein Polysaccharid), Gerbstoffe, Saponine, Flavonoide sowie verschiedene Terpene und Triterpene (ätherische Öle). Insbesondere der Wirkstoff Prunellin ist eine mögliche Erklärung für die antivirale Wirkung der Pflanzen. In einer Labor-Studie konnte sogar eine gewisse Aktivität des Wirkstoffes Prunellin gegen das HI-Virus nachgewiesen werden.

Die Braunelle wächst häufig in Gruppen

Viele lokale volkstümliche Pflanzennamen gehen auf die Anwendung der Pflanze zur Behandlung der Diphterie zurück. So heißt sie in manchen Orten auch Mundfäulkraut, Rachenheyl, Halskraut oder Mundfäulzapfen. Andere Pflanzennamen wie Selbstheil, Gottsheil und Immergsund deuten auf die allgemeine Heilwirkung auch bei anderen Leiden hin. Besonders im asiatischen Raum ist die Braunelle bis heute eine beliebte Heilpflanze bei vielerlei Leiden.

Wenn man sich die Heilwirkungen dieser beiden Pflanzen anschaut, kommen sie in der aktuellen Zeit gerade Recht. Zwei Pflanzen: eine die gegen entzündliche Erkrankungen der Atemwege hilft und eine die immunstärkend und antiviral wirkt. Was wäre während einer Pandemie einer hochansteckenden Viruserkrankung, die hauptsächlich die Lungen befällt, passender? Ist ihr vermehrtes Auftreten ein reiner Zufall oder steckt da doch mehr dahinter? Zumindest in früheren Zeiten waren sich die Kräuterkundigen sicher, dass Heilpflanzen vermehrt dann und dort auftauchen und wachsen, wo sie benötigt werden.

Mit unserem modernen, rein rationalem Weltbild ist so eine Vorstellung natürlich nicht zu vereinen. Doch was auch immer es ist, dankbar über eine so passende Medizin aus der Natur dürfen wir in jedem Fall sein. Und wer weiß, vielleicht ergeben zukünftige Studien ja auch eine offizielle Heilkraft aus der Natur gegen die neuartige Viruserkrankung.

Text: Fabian Kalis

Bildnachweis:

Karelj via Wikimedia Commons

Agnieszka Kwiecień, Nova, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons

Carl Axel Magnus Lindman, gemeinfreies Werk

Ivar Leidus, CC BY-SA 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons

Prof. Dr. Otto Wilhelm Thomé Flora von Deutschland, Österreich und der Schweiz 1885, Gera, Germany, gemeinfreies Werk

Forest & Kim Starr, CC BY-SA 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons

Die wilde unberührte Natur weckt in vielen Menschen eine Vorstellung von Freiheit, Entspannung und vor allem eines Ausgleichs zu unserer modernen, hektischen Welt und all den Problemen der menschlichen Kultur. Und in der Tat hilft uns der Kontakt zur Natur dabei uns an etwas Ursprüngliches und Großes anzubinden, unseren Stresslevel zu senken und uns auf uns selbst und ein Leben im Hier im Jetzt zu besinnen und dabei sämtliche Probleme des Alltags zumindest für einen Augenblick zu vergessen.

Doch die menschliche Kultur wäre nicht menschlich, wenn ihre negativen Auswüchse nicht auch in diese unbeschwerte Welt jenseits von Gut und Böse und jenseits von Ideologien, Wertvorstellungen und menschlichen Idealvorstellungen vordringen würde. Ein Phänomen, welches ganz besonders bei vermeintlichen Umweltschützern immer mehr mit erschrecken festzustellen ist, ist etwas, das ich gerne etwas provokant als Pflanzenrassismus bezeichne.

Mit Pflanzenrassismus meine ich die fragwürdigen Überzeugungen einiger Menschen, die sich als selbst deklarierte Naturschützer dem Ziel verpflichtet haben, alle fremdartigen Gewächse, alle ursprünglich nicht einheimischen Pflanzen, alle sogenannten Neophyten zu verteufeln, sie an ihrer Ausbreitung zu hindern und im Idealfall gänzlich auszurotten. Der Hass ist dabei in den meisten Fällen natürlich nicht persönlich gegen eine bestimmte Pflanzenart gerichtet. Natürlich mag man diese Pflanzen und sie haben ja auch ihre Daseinsberechtigung. Aber eben nicht hier in unserem Land. Sie sollen dort wachsen, wo sie herkommen.

Vertrocknete Blüten einer Kanadischen Goldrute (Solidago canadensis). Ein gefürchteter Neophyt, wichtige Heilpflanze und Nektarquelle für hungrige Insekten

In Einzelarbeit oder groß angelegten Gruppenaktionen werden die fremdartigen Gewächse in wilder Natur herausgerissen und bekämpft. Mit einer hasserfüllten Zerstörungswut werden sogenannte Säuberungsaktionen durchgeführt, bei denen nicht selten sogar das selbstgesetzte Ziel verfehlt wird. Allzu häufig ist es um die botanische Kenntnis der „Naturschützer“ nämlich nicht besonders gut bestellt, sodass nicht nur die gefürchteten Neophyten herausgerissen werden, sondern auch einheimische Pflanzen, die den Zuwanderern ähnlich sehen. Im schlimmsten Falle werden dabei sogar einheimische Arten vernichtet, die aufgrund ihrer Gefährdung bereits unter einem besonderen gesetzlichen Schutz standen. Schon mehr als einmal sorgten eben solche Aktionen, für Schlagzeilen in den Medien.

Das indische Springkraut (Impatiens glandulifera): invasiver Schädling oder wichtige Bienenweide?

Ich weiß nicht wie es anderen geht, aber zumindest bei mir läuten bei solchen Ideologien, Vorstellungen und Vorgehen die Alarmglocken. Die ideologischen Parallelen zu den dunklen Abgründen zwischenmenschlicher Grausamkeit in Vergangenheit und Gegenwart sind nicht von der Hand zu weisen und absolut erschreckend. Dort wo die Welt mit einem derart hasserfüllten Weltbild wahrgenommen wird, bei dem allein die Herkunft eines Wesens über sein Recht zu Leben entscheidet und wo mit politischen Hetzkampagnen großangelegte Säuberungsaktionen propagiert und angeregt werden, da ist es nicht weit, dass dieses Gedankengut sich von Pflanzen auch auf Menschen ausbreitet. Und wohin das führt, das hat uns die Geschichte schon mehr als einmal in all ihrer Grausamkeit gelehrt. Das ist eine Entwicklung, der wir mit aller Macht entgegenwirken sollten.

Auch das Kleine Springkraut (Impatiens pariflora) sehen viele lieber in seiner asiatischen Heimat. Doch Bienen lieben die Blüten, Kinder die explodierenden Samenkapseln und die Blätter sind lieblich und zart im Geschmack…

Genau aus diesem Grund widme ich den Neophyten bei meinen Kräuterwanderungen und Exkursionen immer eine ganz besondere Aufmerksamkeit und Erklärung. Ich versuche aufzuzeigen, welche wunderbaren Eigenschaften ihnen innewohnen, welche Lücken sie in den Ökosystemen füllen, in denen sie sich ausbreiten, welchen Mehrwert sie nicht nur uns Menschen bringen und warum ihr Erscheinen in moderner Zeit aus erdgeschichtlicher Sicht etwas ganz normales ist. Dabei bringt jede einzelne Pflanzenart natürlich ihre ganz eigenen Besonderheiten mit sich und ihre Geschichten von Immigration in ferne Ökosysteme sind oftmals spannend. Und wenn wir anfangen uns die richtigen Fragen zustellen, dann rüttelt es ganz von allein an festgefahrenen Vorstellungen und negativen Ideen zum Thema Neophyten. Warum zum Beispiel sind unsere urdeutschen Kastanienbäume, die in keinem Biergarten fehlen dürfen, eigentlich keine bösen Neophyten, obwohl Sie hier im frühen Mittelalter noch gänzlich unbekannt waren und erst durch arabische und persische Reiter eingeschleppt wurden? Mit solchen und anderen erhellenden Fragestellungen kann man dem Pflanzenrassismus nach und nach die fehlende Rationalität enthüllen und so manchen Geist zum Umdenken bewegen. Sobald man beginnt die Dinge in größeren Maßstäben zu betrachten, wenn man längere Zeiträume berücksichtigt und Probleme ganzheitlich analysiert, dann kommt man nämlich unweigerlich zu dem Ergebnis, dass die Neophyten gar nicht die Ursache sind für die vermeintlichen Schäden und Gefahren, die man ihnen so oft anhängt. So konnte ich tatsächlich schon den ein oder anderen, der mit Beginn der Kräuterwanderung eine negative Haltung zu den Neophyten hatte, soweit aufklären, dass am Ende der Wanderung auch die zugewanderten Pflanzen in einem positiven und willkommenen Licht gesehen wurden.

Und das gibt mir dann doch wieder ein wenig mehr Hoffnung auch für das menschliche Zusammensein, denn wenn so eine Veränderung der Weltanschauung hin zum Positiven in Hinblick auf Pflanzen möglich ist, dann ist es das auch für menschliche Belange. In diesem Sinn möchte ich dazu einladen, die Natur mal einfach wahrzunehmen wie sie ist und dabei den eigenen Filter von Bewertung und Aufspaltung in Gut und Böse auszuschalten. In der Natur gibt es keine Moralvorstellungen, kein Gut, kein Böse. Die Natur ist. Punkt. Und das kann eine sehr heilsame Erkenntnis sein. Heilsam für uns selbst und heilsam für die Menschheit als Ganzes.

Text: Fabian Kalis

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